Nach den drei Abgängen bzw. der Fehlgeburt sind wir (erneut) zur Humangenetikerin gegangen, obwohl wir sie schon aus der zweiten Schwangerschaft kannten und nicht so begeistert waren. Bei der sogenannten Fish-Untersuchung wurde eine vermeintliche Auffälligkeit bei meinen Chromosomen festgestellt. Sie haben eine Abweichung an meinen Geschlechtschromosomen festgestellt, genauer gesagt, aber das habe ich dann erst später verstanden, nicht an meinen eigenen, sondern an dem, was ich potenziell weitergebe. Mir wurde gesagt, dass eine 1,5 Prozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass mein Kind entweder XX0 oder XXY Chromosomen hat, also entweder Turner- oder Klinefelder-Syndrom haben wird. 1,5 % ist natürlich ziemlich niedrig und eigentlich auch keine sinnvolle Erklärung dafür, dass ich vorher drei Abgänge hatte. Bis ich das aber verstanden habe, hat es eine Zeit lang gedauert. Zudem muss ich auch zugeben, dass mich diese Diagnose tatsächlich viel mehr emotional bewegt hat, als ich mir das vorher hätte eingestehen wollen. Ich hatte meine weibliche Geschlechtsidentität nie in Frage gestellt, fühlte mich in meinem Körper wohl und jetzt plötzlich diese Info, dass mit meinen Geschlechtschromosomen etwas unklar sei. Das hat mich doch getroffen. Hinzu kam noch, ich war dann auch beim Endokrinologen, also demjenigen, der die Hormonzusammensetzung untersucht. Und der hat bei mir einen für eine Frau relativ hohen Testosteronwert festgestellt, der knapp unter dem Grenzwert dessen liegt, was noch als „normal“ weiblich gilt. Insofern fingen die Ärzt*innen plötzlich an, in Frage zu stellen, inwiefern ich eindeutig eine Frau war. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Und ich hatte plötzlich daran zu knabbern. Zugleich stand die Möglichkeit im Raum, dass ich den Kinderwunsch ad acta legen muss. So bescheuert ich es selber finde, Frausein über Kinderkriegen zu definieren. Und trotzdem glaube ich, da sind einfach dann gesellschaftliche Erwartungshaltungen und gesellschaftliche Muster in einem Maße auf mich zurückgefallen, die mich selbst überrascht haben.
Nach und nach wurde mir klar, dass das was die Humangenetikerin und der Endokrinologe erzählt hatten, keine hinreichende Erklärung für die drei Abgänge war und das genetische Untersuchungsergebnis eventuell ein Artefakt (also so eine Art medizinischer Meßfehler) war. Daraufhin habe ich mich im Klinikum bei einem Facharzt vorgestellt, der mir angeraten hat, eine Untersuchung vorzunehmen, die im Prinzip die Gebärmutter bzw. die Schleimhaut untersucht. Eine Selbstzahler-Leistung. Aber das war mir egal und ich habe diese Untersuchung vorgenommen. Da kam tatsächlich zum ersten Mal ein stichhaltiger Anhaltspunkt heraus, nämlich dass ich eine erhöhte Konzentration von Antikörpern, von Killerzellen, in der Gebärmutter habe. Und das kann bei Frauen durchaus vorkommen und führt dazu, dass das Immunsystem den Embryo im Frühstadium bekämpft und im Zweifelsfall auch abtötet. Da hatte ich deutlich den Grenzwert überschritten, und das war zum ersten Mal eine plausible Erklärung, was da eigentlich los ist. Zum anderen war das aber auch insofern eine ganz angenehme Diagnose, weil es dafür eine Therapie gibt. Diese ist zwar noch nicht zugelassen und sie ist umstritten, aber durch die Gabe von Medikamenten kann man systematisch das Immunsystem schwächen und damit die Schwangerschaft erhalten. Das war etwas, was mir dann von diesem Arzt empfohlen wurde. Und ich habe wieder Hoffnung geschöpft, weil ich dachte, das ist auf jeden Fall ein Versuch wert, das zu probieren.
Parallel dazu hatten wir auch einen Termin in einer entfernten Stadt in einer Kinderwunschklinik, genauer ein humangenetisches Zentrum, das sich auf Kinderwunsch spezialisiert hatte. Auf die Empfehlung meiner Frauenärztin haben wir uns dort einen Termin gemacht und sind da tatsächlich hingefahren.
Das war eine höchst seltsame Begegnung. Wir kamen dort an, teuerste und beste Wohnlage, über den Dächern der Stadt. Nach einer Viertelstunde Wartezeit, in der wir auch noch Getränke angeboten bekommen haben, kam uns dann eine Frau im schicken Designerkleid entgegen und sagte, sie würde uns jetzt beraten. Diese Beratung sah so aus, dass sie uns im Prinzip eine Pränataldiagnostik kombiniert mit Invitrobehandlung empfohlen hat, und zwar in dem Sinne, dass mir Eizellen entnommen werden, die im Reagenzglas befruchtet werden. Diese lässt man dann ausreifen, dann untersucht man sie und die „Beste“ davon wird wieder einsetzt. Dieses ganze Verfahren, diese aufwändige Kinderwunschbehandlung, kostet einen höheren vierstelligen Betrag. Das haben die aber an dieser Stelle gar nicht dazugesagt.
Und wir haben dann auch nachgefragt, weil eigentlich ist es ja so ein ethischer Grenzfall, denn man darf keine Eizellen heranziehen, um diese dann wieder zu vernichten. Und genau so was passiert aber in diesem Prozess. Der Facharzt, bei dem ich zuvor war, hatte sehr klar gesagt, dass es ethisch in meinem Fall überhaupt nicht zulässig ist, das zu machen, weil ich ja schwanger werden kann und das Problem bei mir an anderer Stelle liegt. Diese Frau, die uns da beraten hat, hat uns zu verstehen gegeben, dass ihre Firma viel Erfahrung im Stellen von Anträgen vor der Ethikkommission hätte und das auch in meinem Fall problemlos klappen würde.
Wir fanden das relativ krass, so mit ethischen Einwänden und Überlegungen umzugehen und hatten im Verlauf dieses Gesprächs auch immer mehr das Gefühl, dass man uns hier ein Produkt für teuer Geld verkaufen will, und nicht, dass es eine ergebnisoffene Beratung ist. Wir sind da rausgegangen und waren uns – und darüber war ich sehr froh – sehr einig, dass dieser Weg oder besser dieser Geschäftszweig nichts für uns ist.
Wir haben stattdessen angefangen, uns auch mit dem Thema Adoption zu beschäftigen.
Wir haben dann ein bisschen was zum Thema Adoption gelesen. Leider hatte ich das Gefühl, dass vor allem ich die treibende Kraft war und mein Partner sich nicht so richtig vorstellen konnte, tatsächlich ein Kind zu adoptieren, weil er – und das hat er schon auch so gesagt – die Phase der Schwangerschaft bräuchte, um sich mental darauf einzustellen. Dieses von heute auf morgen plötzlich verantwortlich zu sein für so ein kleines Wesen und alles umzuschmeißen, was bei einer Adoption nötig ist, war für ihn eine sehr schwierige Vorstellung. Wir haben dann trotzdem so ein Beratungsgespräch hier in der Stadt, wo wir wohnen, geführt, bei der Zuständigen vom Jugendamt, die sehr nett und kompetent war. Zugleich hat sie uns auch auf die vielen Enttäuschungen mit Adoptionen vorbereitet und mit Kindern, die dann vielleicht ganz anders sind, als wir uns das vorstellen. Weil sie eben eine sehr prägende Vorgeschichte haben und es ganz häufig im späteren Verlauf des Lebens zu vielerlei Problemen kommt. Was uns vorher auch nicht klar war ist, dass es hier sozusagen eine Altersgrenze gibt, wenn auch eine weiche. Die Eltern sollen nämlich nicht älter als 40 Jahre älter als das Kind sein. Das heißt, auch da waren wir schon an der Grenze und unsere Chancen wären altersbedingt nicht so richtig gut gewesen. Auch das war etwas, was mir überhaupt nicht klar war und was ich auch nicht ganz nachvollziehen kann. Wir haben dadurch ein bisschen den Mut verloren, mein Partner war von der Idee ohnehin nicht überzeugt. Wir haben letztlich die Adoptionsunterlagen nie ausgefüllt und das Thema dann erst mal wieder ad acta gelegt.
Stattdessen hatten wir Hoffnung aus dieser einen Untersuchung geschöpft, die ja ergeben hatte, dass ich diese erhöhte Konzentration von Killerzellen in der Gebärmutter hätte, wo man medikamentös gegensteuern könne. Genau diese Medikamente habe ich dann angefangen zu nehmen, obwohl es natürlich während der Hochzeit von Corona auch nicht ganz ohne war, mutwillig das eigene Immunsystem zu schwächen. Trotzdem war ich ja nun immerhin schon zweimal gegen Corona geimpft. Und keine vier Wochen später war ich tatsächlich erneut schwanger und habe dann eifrig diese Medikamente genommen. Ich musste noch ein großes Projekt fertigstellen und das habe ich tatsächlich in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten auch durchgezogen und habe die Tatsache, dass ich schwanger war, ein bisschen verdrängt bzw. mich nicht so sehr damit beschäftigt. Einfach als Schutzmechanismus, um nicht wieder so enttäuscht zu sein. Denn es war für mich im Kopf klar, auch wenn wir es nicht ganz explizit ausgesprochen hatten, dass es der wahrscheinlich letzte Versuch war. Einfach weil ich auch immer älter wurde. Aber es ist gut gegangen. Es sieht tatsächlich so aus, dass diese medikamentöse Behandlung während der ersten fünf Schwangerschaftsmonate dazu geführt hat, dass in mir ein gesundes Kind heranreift. Ich bin jetzt in der 38. Schwangerschaftswoche. Bisher gibt es keinerlei Anzeichen, dass irgendwas nicht stimmt. Jetzt freuen wir uns auf das Kind, auch wenn es dahin ein sehr langer und ganz schön emotional beschwerlicher Weg war.