Isabell

Alter
35
Gender
Weiblich
Kinder
1

Wie bist du mit ungewollten Schwangerschaften umgegangen?

Als ich das zweite Mal schwanger geworden bin, habe ich es sehr spät gemerkt und war zunächst überrumpelt und überfordert. Es war ohnehin eine schwierige Zeit. Ich habe zuerst mit meinem Partner drüber gesprochen und als zweites dann tatsächlich mit der Frauenärztin.

Ich habe mich am Anfang saudumm gefühlt, weil ich dachte, ich bin irgendwie nicht mehr 18 oder 20, sondern Mitte 30. Ich weiß, wie Verhütung funktioniert und ich weiß, wie man schwanger wird. Wie konnte mir das passieren? Das war mir anfangs wirklich peinlich zu sagen: ich bin ungewollt schwanger geworden. Dann habe ich mir mal die Statistiken angeguckt und dachte abgefahren, nur 1/3 aller ungewollten Schwangerschaften sind von Leuten unter 18. Ganz, ganz viele haben schon ein Kind, zwei Kinder oder drei Kinder und brechen trotzdem oder vielleicht auch genau deswegen ab, weil sie die Erfahrung gemacht haben, was das bedeutet. Das zu wissen, hat mir total geholfen. Ich fände es gut, das sichtbar zu machen.

Diese Lebensschützer hingegen vermitteln das Bild, die ungewollten Schwangeren wären so 16- 18 Jährige, die sich keine Gedanken über nichts gemacht haben und egoistisch handeln. Aber dass das ganz, ganz viele Frauen betrifft, die sehr, sehr wohl wissen, welche Entscheidung sie da treffen, weil sie auch schon Schwangerschaften hinter sich haben, Kinder haben. Damit will ich nicht sagen, dass deren Entscheidung eine andere Wertigkeit hätte. Aber ich finde, es zeigt noch mal, wie breit die Spanne ist und vor allem, wie schnell das passieren kann. Also denen war auch klar, dass sie nicht schwanger werden wollten, so wie mir, und es ist trotzdem passiert, weil man permanent selber darauf achten muss. Gerade wenn man in einer längeren Partnerschaft lebt und Routinen gefunden hat, wie man schön gemeinsam Sex haben kann, auch wenn das vielleicht nicht 100% sicher ist. Also diese Statistiken haben mir sehr geholfen, ich hätte mir gewünscht, dass ich die schon vorher gekannt hätte.

Ich brauchte noch ein paar Tage, aber dann relativ bald nach dem Besuch bei der Frauenärztin war mir klar, was ich wollte. Das war bevor ich den Beratungstermin hatte, und die Entscheidung hatte sich eigentlich schon gesetzt. Zeitlich war das alles schwierig, zwischendurch waren Feiertage und auch noch mein Geburtstag. Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, habe ich sie in der WG und im Freund*innenkreis angesprochen. Nach dem Abbruch habe ich es auch meiner Familie erzählt; ich finde das gehört zur Familiengeschichte dazu und ich wollte darüber reden. Deswegen war das gar nicht so ein großes Geheimnis und auch unter Bekannten, mit denen ich politisch aktiv war. Teilweise habe ich es via zoom erzählt, weil noch Coronazeit war und es gab teilweise wirklich tolle Reaktionen. So hat eine Bekannte per zoom nachgefragt, ob ich mit der Entscheidung zufrieden und gut bin. Als ich das bejaht habe, hat sie mir herzlich gratuliert. Das war irgendwie eine sehr coole Reaktion. Zwei Wochen später, als wir uns gesehen haben, hat sie mir einen Blumenstrauß überreicht. Das hat sich so abgehoben von dem üblichen betroffenen zu-Boden schauen mit einem mitleidsvollen das tut mir leid. Dieses Schema zu überwinden, fand ich toll. Denn so ein Abbruch ist ein schwerer Prozess, und jemand zu beglückwünschen, dass frau es hinter sich hat, ist eine tolle Geste. Das könnte auch ein Impuls für andere sein.

Also ich glaube am Ende habe ich sehr viel darüber gesprochen und Stück für Stück habe ich es mehr Menschen erzählt. Zunächst war ich mit dem Umgang mit der ungewollten Schwangerschaft erst mal sehr überfordert und es blieb im kleinen Kreis. Je mehr Sicherheit ich hatte, desto mehr konnte ich mit mehr Menschen drüber sprechen.

Wie hast du den Prozess bis zum Abbruch erlebt?

Diese Phase war auf jeden Fall anstrengend. Das lag auch daran, dass ich die Schwangerschaft so spät bemerkt habe und deshalb der Zeitdruck hoch war. Zu diesem Zeitpunkt war der medikamentöse Abbruch schon nicht mehr möglich. Ich hatte das Gefühl jetzt muss ich ganz viele Stationen durchlaufen, bevor ich den Abbruch überhaupt machen kann und dann noch ein Feiertag dazwischen. Tatsächlich habe ich das Beratungsgespräch als herausfordernd, aber gut erlebt. Zuerst ging es viel um ökonomische Unsicherheiten usw. und da hat die Beraterin irgendwie viel insistiert und ich hatte so das Gefühl, das würde sie nicht so stehen bzw. gelten lassen. Aber als ich dann auch gesagt habe, dass ich einfach überhaupt kein schönes Gefühl mit der Schwangerschaft verbinde und ich auch nicht erneut will, dass sie meinen Körper so verändert. Das wollte ich einfach nicht. Da haben zwei Sätze gereicht. Sie hat gesagt, ihr ist klar, ich habe eine Entscheidung getroffen, die für mich richtig ist. Das tat dann richtig gut und sie war eher bestärkend danach.

Was ich aber richtig scheiße fand, ist, dass ich noch eine Unterschrift von der Krankenkasse brauchte. Das war mir vorher gar nicht klar, sondern erst als mir meine Frauenärztin gesagt hat, so, und jetzt brauchen Sie noch eine Unterschrift von Ihrer Krankenkasse, dass sie die Kosten übernimmt. Ich dachte vorher, das wird automatisch übernommen. So ist es aber nicht, das hängt von den Einkommensverhältnissen ab, ob es von der Krankenkasse übernommen wird. Und ich dachte, ich muss jetzt in so ein Großraumbüro in der Krankenkasse und sagen sorry, ich bin ungewollt schwanger, ich brauche noch eine Bestätigung für die Kostenübernahme. Das war mir so unangenehm und noch dazu der Zeitdruck. Und am Ende, das war richtig cool, da hat das einfach meine Mitbewohnerin gemacht, und ich konnte stattdessen über meinen Geburtstag wegfahren. Ich habe ihr eine Vollmacht geschrieben und sie ist da hingegangen und das hat problemlos geklappt. Das kann ich wirklich weiterempfehlen, einfach eine Vollmacht auszustellen und dann muss man nicht persönlich da hin. Das fand ich tatsächlich am stressigsten und das hat mich auch am meisten geschockt an diesem Prozess, dass ich jetzt noch eine Unterschrift von der Krankenkasse brauche. Das von dem Beratungsgespräch wusste ich halt vorher, aber von dieser Bestätigung der Krankenkasse wusste ich nichts.

Wie ermöglichst du dir Zeit und Freiheiten um politisch aktiv zu sein und Dich zu erholen?

Mein Kind ist jetzt sechs Jahre alt und ich erarbeite mir die Zeit und Freiheiten immer noch. Mir hilft zum einen, einen eigenen Rückzugsort zu haben außerhalb der Wohnung mit Partner und Kind. Zum anderen finde ich es wichtig, eine klare Aufteilung unter der Woche zu haben. Dadurch gibt es jetzt ein paar Tage, da kann ich von früh bis abends machen, was ich will.

Ansonsten finde es aber tatsächlich schwierig, den Spagat hinzukriegen, einerseits genug für mein Kind da zu sein und die ganzen Entwicklungsprozesse mitzukriegen und andererseits mein Sozialleben und die Freundinnen und Freunde genauso weiter zu treffen. Und dann will ich auch noch weiter politisch aktiv sein und Zeit für mich haben. Als ich es irgendwann mal auf eine Woche runter gerechnet habe, kam raus ein Abend Sport mit einer Freundin, einen Abend Politarbeit, zwei Abende zu Hause Kind ins Bett bringen, dann ist die Woche fast um. Und am Wochenende fahren wir oft weg oder ich habe zusätzlich über die Arbeit noch abends Termine. Dann versucht man die Zeit, die man unter der Woche nicht fürs Kind hatte, am Wochenende wieder reinzuholen. Das ist wenig und ich würde sagen, was als erstes hinten runter fällt, ist die Zeit für mich. Das mache ich dann so abends zwischen elf und zwölf.

Wir haben festgelegt, dass einmal im Jahr jede Person eine Woche alleine wegfahren kann, in den Urlaub, und nach Absprache auch mehr. Dann noch Zeit für Polittreffen zu finden ist schwer, insbesondere in einer Partnerschaft, in der beide das Interesse daran haben. Wir haben das und mir fällt es trotzdem zunehmend auch schwer. Jetzt gerade fällt es einfach hinten runter; allerdings überlappt sich das auch mit meiner Arbeit.

Außerdem hat an einem festen Tag in der Woche meine beste Freundin immer das Kind und das freut sich auch total drauf, weil die beiden eine sehr enge Beziehung zueinander haben. Und dann weiß ich immer, dadurch gibt es einen Tag in der Woche, da könnte ich theoretisch sogar was mit meinem Partner machen, das ist auf jeden Fall auch immer ein gutes Gefühl. Aber es bleibt eine Baustelle…

Bereust Du es manchmal, Mutter/ Vater/ Eltern­teil zu sein? Wie gehst du damit um?

Ja, hin und wieder bereue ich es auf jeden Fall. Es gibt solche und solche Momente. Es sind aber kurze Momente. Und dann sehe ich mein Kind und denke, ist auch alles wieder schön so wie es ist.

Es gibt halt Widersprüche, mit denen wir leben müssen. Ich habe relativ viel mit meinem Umfeld darüber gesprochen, auch mit meinem Partner, dem das nicht so oft so geht wie mir. Ich habe auch mit meiner Schwester, die selber Mama ist, viel drüber gesprochen, die kennt das Gefühl auch. Es hat mir geholfen mit anderen, die auch Kinder haben, über diese Widersprüche zu sprechen und dann irgendwann zu merken, es gibt in meinem Umfeld wirklich sehr wenige Menschen, die diesen Gedanken noch nie hatten. Sondern im Gegenteil eher relativ viele.

Ich fand es auch spannend mit meiner Mutter darüber zu sprechen. Sie meinte, das war bei uns damals doch auch schon so! Auch wenn es damals den öffentlichen Diskurs noch nicht gab, hat sie damals mit ihrem Umfeld darüber gesprochen. Auch damals war klar, dass es diese Momente gibt, wo man sich so denkt, warum habe ich das gemacht? Das zu wissen, hat mir auch geholfen. Und ich dachte genau, vielleicht muss man jetzt nur dran arbeiten, dass andere das auch mitkriegen. Also es wäre schade, wenn man das immer erst mitkriegt, wenn man selber in der Situation ist, dass das schon seit Jahrzehnten Menschen auch so geht oder sie da auch drüber reden. Es ist scheinbar schon lange so, dass Frauen da untereinander auch drüber reden und vielleicht nicht nur Frauen.

Was ist für Dich feministische Mutterschaft? Geht das überhaupt? Wie geht Vaterschaft ohne in patriarchale Muster zu verfallen?

Ja, ich finde Feminismus und Mutterschaft gehen gut zusammen. Was bedeutet das für mich? Ich glaube, das fängt für mich mit dem Versuch an, einen ehrlichen Austausch mit Freundinnen zu führen, die Schwangerschaften und Geburten erfahren haben. Also, ein ehrlicher Austausch, der auch unangenehme und herausfordernde Aspekte benennt und die normativen Bilder dadurch aufbricht. Ich habe bisher ein paar sehr ausführliche Geburtsberichte von Freundinnen bekommen und das schätze ich sehr. Meine Freundinnen haben Geburten ganz unterschiedlich erlebt und gestaltet. Ich glaube, da fängt feministische Mutterschaft schon an. Sich verbinden, austauschen über diese Erfahrungen und die gesellschaftlichen Erwartungen, die an Frausein und Muttersein gekoppelt sind und sich darüber gegenseitig zu stärken.
Ein anderes Thema, dass ich mit feministischer Mutterschaft verbinde, ist das bewusste Gestalten von Beziehungen. Feminismus hat mich generell geprägt von der Frage, wie ich Beziehungen führen möchte. Ich hätte nicht den Anspruch an mich, Mutterschaft komplett zu dekonstruieren, das fände ich schmerzhaft. Ich hätte auch nicht den Anspruch in der Erziehung auf politischer Ebene alles richtig zu machen. Aber feministische Mutterschaft verbinde ich damit, mir sagen zu dürfen: Es ist okay, als Mutter Grenzen zu setzen und eigene Bedürfnisse zu haben. Das klingt irgendwie ziemlich basic, aber nach dem, was ich von Freundinnen mit Kindern erfahre, ist es das am Ende doch nicht.
Eine möglichst gerechte Verteilung von Sorgearbeit gehört für mich ebenfalls dazu. Das muss nicht bedeuten, dass alle genau das Gleiche machen, sondern kann auch bedeuten, dass die Sorgearbeit danach aufgeteilt, was wer kann und gerne macht.
Schwierig für feministische Elternschaft finde ich es, dass immer noch mehr Mütter länger in Elternzeit gehen als Väter. Dass die Väter weiterarbeiten und ihre Hobbies aufrechterhalten, während die Mütter das aufgeben. Deshalb bedeutet feministische Elternschaft für mich auch, zu einem ähnlichen Teil in Elternzeit zu gehen. Und generell zu schauen, dass sich alle ähnlich viel Zeit für das Kind nehmen. Und sich dann eben wirklich um das Kind kümmern, emotionale Verantwortung übernehmen und nicht nur die schönen Sachen zusammen machen.
Wenn das alles umgesetzt ist, dann ist das Ergebnis für mich feministische Elternschaft, obwohl das ja eigentlich sehr low level ist. Als ich klein war, war mein Papa mehr zuhause als meine Mama, also eigentlich ist das alles nix Neues, aber dennoch bis heute keine Selbstverständlichkeit.

Zeichnungen mit verschiedenen Darstellungen von Elternschaft