Mathilda

Alter
27
Gender
weiblich
Kinder
1

Wie war(en) die Geburt(en)?

Ich hatte wohl eine unkomplizierte Entbindung, die ich trotzdem aber als extreme Grenzerfahrung erlebt habe. Mein Kind lag schon länger günstig mit dem Kopf nach unten im Becken, als zwei Tage vor Termin morgens die Wehen bei mir einsetzten. Mein Partner und ich haben sofort im Geburtshaus angerufen, dann aber mit der Hebamme besprochen, dass wir noch ein bisschen abwarten, ob es vielleicht falscher Alarm ist. Das konnte ich mir allerdings nicht wirklich vorstellen, ich empfand die Wehen als sehr stark und unangenehm, vergleichbar mit starken Regelschmerzen, die aber alle paar Minuten wellenartig zu- und wieder abnahmen. Mittags durften wir dann endlich ins Geburtshaus fahren. Von der Intensität und Häufigkeit der Wehen hatte ich das Gefühl, schon ziemlich weit zu sein. Ich war auch schon ganz schön erschöpft und konnte mir nicht vorstellen, dass das noch stundenlang so weitergehen und noch viel krasser werden würde. Die Betreuung im Geburtshaus empfand ich als sehr respektvoll und unterstützend; ich fühlte mich die ganze Zeit über gut aufgehoben. Dennoch war ich zwischendurch richtig verzweifelt. Jede Wehe war ein Kraftakt für sich, und lange schien es nicht voranzugehen. Ich gab mir unfassbar Mühe, richtig zu atmen und zu tönen und mich zu entspannen. Mich plagten auch Selbstzweifel. Warum konnte ich nicht „einfach loslassen“? Kämpfte etwas in meinem Unterbewusstsein gegen die Entbindung an? Tatsächlich konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie das Kind durch den Geburtskanal passen sollte und hatte große Angst vor Schmerzen und Verletzungen. Diese Gedanken behielt ich größtenteils für mich, um Energie zu sparen, aber auch um meinen Partner zu schonen. Er war die ganze Zeit über an meiner Seite, stützte mich, gab mir Wasser und Traubenzucker, sang für mich und kühlte mir die Stirn. Es tat mir leid, dass ich teilweise sehr wenig mit ihm kommunizierte, weil ich mich auf mich konzentrieren musste. Ich war sehr dankbar dafür, dass er da war und wir den Geburtsvorbereitungskurs zusammen gemacht hatten. Ich erinnerte mich an die Metapher einer Geburt als Marathonlauf aus dem Kurs. Naja, einen Marathon konnte man wenigstens abbrechen.
Irgendwann kamen dann die Presswehen. Bis zu diesem Moment hatte ich nicht gedacht, dass die Wehen nochmal doppelt so heftig werden könnten. Jetzt konnte es doch nur noch wenige Minuten dauern, oder? Tatsächlich ging es aber noch etwa zwei Stunden weiter. Ich war so erschöpft, dass ich die meiste Zeit über in der Geburtswanne saß bzw. in einem Tuch hing, das von der Decke heruntergelassen war. Die Wehen kamen jetzt noch schneller hintereinander, und ich ließ sie teilweise einfach mit geschlossenen Augen über mich hinwegrollen. Doch ich hatte Angst, meine letzte Energie aufzubrauchen, ohne sie sinnvoll einzusetzen, also versuchte ich mitzuschieben. Das klingt vielleicht unromantisch, aber die meiste Zeit fühlte ich mich, als müsste ich ganz dringend kacken und hätte die heftigste Verstopfung meines Lebens, die mich ganz sicher umbringen würde. Irgendwann gab es dann einen letzten Positionswechsel, raus aus der Wanne und auf den Geburtshocker. Der einzige Weg raus aus dem anhaltenden Druck und Schmerz war die Flucht nach vorn, und ich presste in einer letzten verzweifelten Kraftanstrengung. Als der Kopf einmal draußen war, brauchte es nur noch eine weitere Wehe für den restlichen Körper. Mit dem befriedigendsten Flutsch-Geräusch aller Zeiten kam mein Kind auf die Welt und wurde von der Hebamme aufgefangen. Die Erleichterung war unfassbar, ich war völlig überwältigt und mein Partner fing hemmungslos an zu weinen. Ich war noch nie in meinem Leben so fertig. Zwanzig Minuten später lag unser Kind an meiner Brust und ich aß eine fette Pizza, die wir ins Geburtshaus bestellt hatten. Die Hebamme meinte zum Abschied: Vergiss das nie, das kann dir keiner mehr nehmen.

Wie haben sich Freundschaften verändert, seit Du bzw. enge Freund*innen Kinder haben?

Ich war in meinem Umfeld eine der ersten, die ein Kind bekommen haben. Das merke ich auch immer wieder, wenn ich z.B. Freund*innen besuche, deren Wohnungen nicht kindersicher sind und die auch im Vorfeld des Treffens nicht auf die Idee kommen, dass das ein Thema sein könnte. Gleichzeitig war es schön zu erleben, wie kinderlose Bekannte das erste Mal mit einem Baby in Kontakt kommen, sich darüber freuen und ganz viele Fragen stellen. Oft blieb das Interesse aber auch oberflächlich oder das Kinderhaben entfremdete mich sogar von alten Kontakten. Bei einem Klassentreffen war ich mit Mitte 20 die einzige, die ihr Kind dabei hatte. Da hatte ich das Gefühl, dass mein Leben eher als Kuriosität angesehen wird, einige meinten sogar, „das hätten sie ja von mir nicht gedacht“, was auch immer das heißen soll.
In manchen langjährigen Freundschaften habe ich seit der Schwangerschaft viel Liebe und Unterstützung erfahren. Trotz eines Umzugs in eine andere Stadt sind wichtige Kontakte erhalten geblieben, gestalten sich jetzt aber weniger intensiv. Früher war ich oft diejenige, die sich zuerst gemeldet hat, was ich seit der Geburt meiner Tochter seltener schaffe. Einzelne Freund*innen habe ich eingeladen, von sich aus öfter mal anzurufen. Diese waren nach eigener Aussage oft unsicher, wann es gut passt. Freund*innen fühlten sich im Gespräch aber auch gehemmt, weil sie das Gefühl hatten, ihre Themen seien im Vergleich zu Schwangerschaft/Geburt/Alltag mit Kind zu unbedeutend. Was fehlt, sind wohl die Abende, an denen wir mit einer Tasse Tee in der Küche über Gott und die Welt redeten und die Zeit vergessen. Die gibt es noch, aber sie sind selten geworden.

Zeichnungen mit verschiedenen Darstellungen von Elternschaft