Vera

Alter
41
Gender
Weiblich
Kinder
1

Warst Du dir schon immer sicher, dass Du selbst Kinder bzw. dass Du keine Kinder willst? Warum? Was lässt dich Zweifeln, was bestärkt dich?

Ich war mir eigentlich schon immer sicher, also so als Jugendliche und junge Erwachsene, dass ich auf jeden Fall Kinder will, aber noch nicht jetzt. Während der Schulzeit und dann auch im Studium hatte ich immer Angst schwanger zu werden, weil ich so eine Vorstellung hatte, dass zu früh Kinder zu bekommen, hieße, ich müsse auf ganz viel verzichten. Z.B. hatte ich Angst, dass ich dann meine Schule, mein Studium, meinen Berufseinstieg nicht abschließen könnte. Insofern hatte ich immer klar, ich will Kinder, aber noch nicht jetzt, sondern wenn ich erst mal irgendwie Fuß gefasst habe, wenn ich viel von der Welt gesehen habe und wenn ich dann wirklich bereit dafür bin. So schob sich dieser Zeitpunkt fürs Kinderkriegen immer weiter nach hinten. Das hat mich aber in den Zwanzigern noch überhaupt nicht beunruhigt. So etwa seit ich 30 bin, muss ich zugeben, ja meine biologische Uhr fing an, sich bemerkbar zu machen.

Tickt Deine biologische Uhr bzw. was löst diese Metapher bei dir aus?

Ich finde die Metapher eigentlich total bescheuert und würde sie aus feministischer Perspektive ganz klar zurückweisen, weil sie Frauen unter Druck setzt, in so biologistischen Mustern zu denken. In der Generation meiner Mutter galt 33 als der späteste Zeitpunkt, zu dem frau noch Kinder bekommen konnte. Das war zumindest die gesellschaftliche Erwartung und das, was sie mir erzählt hat, obwohl mir mittlerweile klar ist, dass auch in der Generation meiner Mutter ganz schön viele Frauen mit 35, 39 oder später noch ein Kind bekommen haben. Trotzdem, ich fand diese Metapher immer blöd und musste mir dann aber so ab 35 spätestens eingestehen, dass da doch etwas tickt, so etwas wie eine biologische Uhr. Ich bin mir sicher, ich will Kinder. Aber so langsam sollte ich mal anfangen, das auch konkret in die Tat umzusetzen. Es kam erschwerend hinzu, dass ich in der Zeit zwischen 30 und 35 keine feste Partnerschaft hatte bzw. niemand, mit dem ich mir das Kinderkriegen tatsächlich vorstellen konnte. Und ich hatte eine klare Vorstellung, dass ich auf jeden Fall nicht alleine Kinder bekommen will, sondern mit einem Partner, der auch ganz klar Kinder will, Verantwortung übernimmt und auch im Falle einer Trennung weiter als Vater und Begleitperson zur Verfügung steht. Ich hatte immer großen Respekt vor Frauen, die die Entscheidung gefällt haben, das alleine durchzuziehen. Aber ich hatte Angst, dass ich, wenn ich das alleine mache, meine Hobbys, meinen Beruf und meine sonstigen politischen Aktivitäten vollkommen an den Nagel hängen muss.

Was macht das mit deiner Beziehung, falls es konträre Einstellungen zu Kindern gibt?

Mit meinem jetzigen Partner, von dem ich jetzt auch ein Kind erwarte, war das tatsächlich von Anfang an in der Beziehung Thema. Vor allem deswegen, weil er sich das nicht gut vorstellen konnte, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen – für mich hingegen war perspektivisch ein Kind wichtig, es war fast eine Ausgangsbedingung für eine feste Beziehung. Ich war zum Beginn unserer Beziehung 35 und mir war wichtig, von Anfang an zu klarzustellen, dass ich Kinder wollte. Hätte er von Anfang an kategorisch ein Kind ausgeschlossen, wäre ich die Beziehung nicht eingegangen. Er hat sich nie zu einem klaren Nein durchgerungen, sondern eher zu so einem Na ja, ich weiß nicht. Ich fand es ganz schön schwierig, tatsächlich dieses Thema immer wieder anzusprechen, ohne ihn damit zu nerven. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass wir wirklich eine gemeinsam verabredete Entscheidung getroffen haben, sondern wir haben irgendwann aufgehört zu verhüten. Ich bin immer fest davon ausgegangen, dass er schon weiß, was er da tut. Und ich finde das kann man auch erwarten bei Männern jenseits der 30 (also eigentlich auch früher), dass ihnen die Konsequenzen ihres Handelns klar sind, also wenn man Sex hat, ohne zu verhüten. Und ich habe immer so ein bisschen darauf gehofft, dass ich einfach schwanger werde und dann gibt es vollendete Tatsachen. Ja, ich hatte da so eine ziemlich naive Vorstellung, dass wenn wir ein paarmal nicht verhüten, ich relativ schnell schwanger wäre. So war es aber tatsächlich nicht, sondern es hat zweieinhalb Jahre gedauert, bis sich zum ersten Mal eine Schwangerschaft einstellte bzw. bis ich zum ersten Mal einen positiven Schwangerschaftstest hatte und ich habe dann im letzten halben Jahr auch schon angefangen, mit so Ovaluationsmessungen, d.h. zu messen wann eigentlich der fruchtbarste Tag des Zyklus ist.

Hattest Du schon mal einen Abgang/eine Fehlgeburt und wenn ja, wie hat sich das auf deinen Kinder­wunsch ausge­wirkt?

Ich habe mich unheimlich gefreut, als ich nach über 24 Monaten Sex ohne Verhütung dann erstmalig einen positiven Schwangerschaftstest hatte und dass es endlich geklappt hat. Ich war drauf und dran, das den ersten Leuten erzählen zu wollen. Aber irgendwie hatte ich im Hinterkopf, es sei besser, das nicht innerhalb der ersten zwölf Wochen schon zu verkünden. So habe ich es erst mal für mich behalten. Der ganze Verlauf war dann leider ziemlich tragisch. Ich wachte eines morgens (so Mitte der achten Woche) auf und hatte so eine leichte Schmierblutung. Das hat mir irgendwie Sorgen gemacht und ich bin zu der Frauenärztin gegangen, die auch eine Woche zuvor die Schwangerschaft bestätigt hatte.

Just an dem Tag hatte die Frauenärztin aber zu, weil sie ein technisches Update auf allen Geräten machen musste und sämtliche Behandlungsräume mit Technikern besetzt waren. Sie sagte mir, ich könne zu einer Vertretung gehen – das wäre aber ein relativ weiter Weg gewesen. Die Alternative sei, mich einfach ins Bett zu legen und darauf zu hoffen, dass die Blutung aufhöre; denn in so einer frühen Phase der Schwangerschaft, könne man sowieso noch nichts ernsthaft tun. So bin ich dann also wieder nach Hause gegangen, mit einem sehr unguten Gefühl, aber mit der Hoffnung, dass es sich schon wieder legt. Aber es legte sich nicht, sondern die Blutung wurde immer stärker und spätestens nachts war mir dann klar, dass diese Schwangerschaft verloren ist. Für mich war das schon sehr tragisch, vor allem, weil ich schon so lange gewartet und gehofft hatte, endlich schwanger zu werden – und dann so jähes Ende.

Erschwerend kam hinzu, dass das ganze während des ersten Corona-Lockdowns war und ich kaum Leute traf, mit denen ich darüber reden konnte. Wenn ich darüber sprechen wollte, ging das nur am Telefon, was ich aber immer ein bisschen ungut fand. Und im Endeffekt habe ich es nicht vielen Leuten erzählt. Mit etwas Abstand konnte ich dann später etwas besser drüber reden. Mir hat dann die Frauenärztin relativ schnell empfohlen – wenn ich mir das emotional vorstellen könne – erneut zu versuchen, schwanger zu werden, weil die Wahrscheinlichkeit kurz nach einer Schwangerschaft besonders hoch sei. Und erst da wurde mir auch klar, dass so Abgänge leider zum Leben und zum Alltag gehören und dass über 20 % der frühen Schwangerschaften in einem Abgang enden. Das war ein Thema, das mir vorher kaum begegnet ist. Ich wusste von einer Freundin, dass das mal passiert ist, aber es war so ein Tabuthema. Kaum jemand redete darüber, aber wenn ich mit Leuten darüber sprach, merkte ich: die kannten alle eine Frau, der das schon passiert ist. Insofern wurde mir langsam klar, das ist keine Ausnahme, sondern eigentlich was, das relativ häufig stattfindet. Ich bin dann auch recht schnell, also im übernächsten Zyklus, erneut schwanger geworden. Ich habe mich wieder gefreut – aber nicht so sehr wie beim ersten Mal, sondern hatte eher so eine abwartende Haltung, verbunden mit der Hoffnung, dass es diesmal klappt. Präventiv habe ich schonmal keinen Sport gemacht. Ich habe ein bisschen mein Aktivitätslevel runtergefahren, um mich zu schonen, damit es auf keinen Fall wieder so läuft. In der siebten oder achten Woche war dann auch auf dem Ultraschall schon der Herzschlag erkennbar und wir fingen an, uns zu freuen, haben es aber nur sehr wenigen Menschen erzählt. Trotzdem merkte ich, es macht was mit mir und ich freu mich drauf.

Eineinhalb Wochen später ging ich wieder zur Frauenärztin zur Routineuntersuchung und die sagte schon „Oh je“. Denn: der Herzschlag war nicht mehr zu sehen und der Embryo hatte sich auch überhaupt nicht weiterentwickelt. Folglich war der Frauenärztin sofort klar, auch aus dieser zweiten Schwangerschaft wird nichts. Bei mir hat es ein paar Tage gedauert, bis das wirklich im Kopf angekommen ist. Ich habe dann wie auch schon beim ersten Mal gesagt, ich wolle warten, ob der Abgang von selbst erfolge. Ich habe zwar ein Rezept zur Ausschabung bekommen, hatte aber große Angst da hinzugehen. Es war mir lieber, dass der Embryo in einem mehr oder weniger natürlichen Prozess ausgeschwemmt wird aus dem Körper. Das Material, was dabei herauskam habe ich in Marmeladengläsern gesammelt und zur Frauenärztin gebracht, damit das humangenetisch untersucht werden konnte. Damit war die Hoffnung verbunden, dass man aus diesem Material einen Schluss ziehen kann, womit diese beiden Abgänge zu tun haben. In beiden Fällen gab es aber keine Ergebnisse.

Das war dann so der Zeitpunkt, wo wir überhaupt erst anfingen, uns mit Fragen von Humangenetik auseinanderzusetzen. Humangenetik war für mich vorher höchstens so was im Biologieunterricht. Pränataldiagnostik und diese ganzen Verfahren, so was hielt ich vorher für komische technische Entwicklungen, denen ich eher ablehnend gegenüberstand, von denen ich nicht viel wusste und die ich mir für mich nicht vorstellen konnte. Die Vorstellung, die eigene DNA bzw. die des Kindes sequenzieren zu lassen oder irgendwie ähnliche Untersuchungen vorzunehmen, um etwas über das Erbgut des Kindes zu sagen, das hörte sich für mich an wie aus einem Science Fiction Roman oder so eine Geschichte von Eltern, die sich das perfekte Kind am liebsten im Reagenzglas heranziehen. Es war für mich etwas, das ich für mich immer abgelehnt habe. Trotzdem habe ich das Material gesammelt und untersuchen lassen ohne große Erwartung und Überlegungen. Es war irgendwie surreal…

Nach diesen beiden Abgängen haben wir dann beschlossen, dass wir uns jetzt erst mal Zeit nehmen, den Sommer genießen, in den Urlaub fahren, an was anderes denken und dann noch mal neu überlegen, wie wir jetzt weiter mit der Situation umgehen. Ich hatte auch überlegt, ob ich mich in Psychotherapie begebe. Ich habe aber erstens kein passendes Angebot in meiner Stadt gefunden und zum anderen hatte ich den Eindruck, es gibt so viele Leute, denen es emotional schlechter geht als mir. Ich dachte dann, ach, das geht schon. Das waren jetzt zwei Schicksalsschläge, mal gucken, wie es weiter geht.

Ein halbes Jahr später haben wir die Verhütung wieder eingestellt und zwei Monate später war ich dann tatsächlich zum dritten Mal schwanger. Und ja, ich muss ehrlich sagen, da war es schon so mit einer Resthoffung, dass es diesmal klappt, aber auch mit einer Erwartungshaltung, dass es sehr gut sein kann, dass es wieder nichts wird. Und auch meinem Partner ging es so, dass er schon sehr klar gesagt hat, dass ihn das emotional sehr belastet. Es war klar, dass das nicht unbegrenzt so weitergehen kann, falls diese Schwangerschaft wieder mit einem Abgang enden sollte.

Ja, ich war also wieder schwanger, habe mich erneut gefreut, habe wieder versucht, auf alles zu verzichten, was als Risikofaktor gilt. Und zunächst sahen die Untersuchungen auch gut aus. Wieder war ein Herzschlag erkennbar, dann waren Osterferien und nach den Osterferien ging ich zum Frauenarzt-Termin und erneut stellte sich heraus, dass der Embryo nicht weiter gewachsen war, wie es technisch heißt, es handelt sich um eine nicht-intakte Schwangerschaft. Es war dieses Mal in der elften Schwangerschaftswoche. Es hat mich wahnsinnig getroffen. Ich hatte damit irgendwie doch nicht gerechnet. Ich hatte gehofft, dass es anders sei, auch weil ich so ein bisschen Schwangerschaftsbeschwerden hatte und auch ordentlich Hormone genommen hatte, damit sich die Eizelle gut einnistet. Wieder hieß es abwarten und Tee trinken, es gibt tatsächlich spezielle Tees, damit der Prozess des Abgangs in Gang kommt. Dieser dritte Abgang war viel, viel härter als die zwei vorangegangenen. Medizinisch betrachtet waren die ersten beiden „nur“ Abgänge, ab der 12. Woche spricht man von Fehlgeburt. Während die zwei vorangegangenen eher so wie eine sehr starke Regelblutung mit ordentlich Regelschmerzen waren, war dieser dritte tatsächlich eine richtige Fehlgeburt, mit Wehen, die sich über 24 Stunden gestreckt haben. Es hat unheimlich weh getan, aber es hat funktioniert. Es war zum dritten Mal so, dass die Schwangerschaft rückstandsfrei von selbst abging und mir immerhin die Ausschabung erspart blieb. Geholfen hat mir lediglich jeweils eine entsprechende Akkupunktur der Hebamme, die zu mir nach Hause kam und mit der ich auch über die ganze Situation sprechen konnte. Ja, emotional war es sehr belastend und es war irgendwie klar, das passiert nicht dreimal in Folge zufällig, sondern es gibt hier eine systematische Ursache und wir mussten dann anfangen, uns damit zu beschäftigen. Tun wir was, um diesen Kinderwunsch weiter voranzubringen oder legen wir ihn einfach ad acta? Und welche anderen Formen können wir uns vorstellen?

Auf welchem Weg hast du versucht, Kinder zu bekommen?

Nach den drei Abgängen bzw. der Fehlgeburt sind wir (erneut) zur Humangenetikerin gegangen, obwohl wir sie schon aus der zweiten Schwangerschaft kannten und nicht so begeistert waren. Bei der sogenannten Fish-Untersuchung wurde eine vermeintliche Auffälligkeit bei meinen Chromosomen festgestellt. Sie haben eine Abweichung an meinen Geschlechtschromosomen festgestellt, genauer gesagt, aber das habe ich dann erst später verstanden, nicht an meinen eigenen, sondern an dem, was ich potenziell weitergebe. Mir wurde gesagt, dass eine 1,5 Prozentige Wahrscheinlichkeit besteht, dass mein Kind entweder XX0 oder XXY Chromosomen hat, also entweder Turner- oder Klinefelder-Syndrom haben wird. 1,5 % ist natürlich ziemlich niedrig und eigentlich auch keine sinnvolle Erklärung dafür, dass ich vorher drei Abgänge hatte. Bis ich das aber verstanden habe, hat es eine Zeit lang gedauert. Zudem muss ich auch zugeben, dass mich diese Diagnose tatsächlich viel mehr emotional bewegt hat, als ich mir das vorher hätte eingestehen wollen. Ich hatte meine weibliche Geschlechtsidentität nie in Frage gestellt, fühlte mich in meinem Körper wohl und jetzt plötzlich diese Info, dass mit meinen Geschlechtschromosomen etwas unklar sei. Das hat mich doch getroffen. Hinzu kam noch, ich war dann auch beim Endokrinologen, also demjenigen, der die Hormonzusammensetzung untersucht. Und der hat bei mir einen für eine Frau relativ hohen Testosteronwert festgestellt, der knapp unter dem Grenzwert dessen liegt, was noch als „normal“ weiblich gilt. Insofern fingen die Ärzt*innen plötzlich an, in Frage zu stellen, inwiefern ich eindeutig eine Frau war. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Und ich hatte plötzlich daran zu knabbern. Zugleich stand die Möglichkeit im Raum, dass ich den Kinderwunsch ad acta legen muss. So bescheuert ich es selber finde, Frausein über Kinderkriegen zu definieren. Und trotzdem glaube ich, da sind einfach dann gesellschaftliche Erwartungshaltungen und gesellschaftliche Muster in einem Maße auf mich zurückgefallen, die mich selbst überrascht haben.

Nach und nach wurde mir klar, dass das was die Humangenetikerin und der Endokrinologe erzählt hatten, keine hinreichende Erklärung für die drei Abgänge war und das genetische Untersuchungsergebnis eventuell ein Artefakt (also so eine Art medizinischer Meßfehler) war. Daraufhin habe ich mich im Klinikum bei einem Facharzt vorgestellt, der mir angeraten hat, eine Untersuchung vorzunehmen, die im Prinzip die Gebärmutter bzw. die Schleimhaut untersucht. Eine Selbstzahler-Leistung. Aber das war mir egal und ich habe diese Untersuchung vorgenommen. Da kam tatsächlich zum ersten Mal ein stichhaltiger Anhaltspunkt heraus, nämlich dass ich eine erhöhte Konzentration von Antikörpern, von Killerzellen, in der Gebärmutter habe. Und das kann bei Frauen durchaus vorkommen und führt dazu, dass das Immunsystem den Embryo im Frühstadium bekämpft und im Zweifelsfall auch abtötet. Da hatte ich deutlich den Grenzwert überschritten, und das war zum ersten Mal eine plausible Erklärung, was da eigentlich los ist. Zum anderen war das aber auch insofern eine ganz angenehme Diagnose, weil es dafür eine Therapie gibt. Diese ist zwar noch nicht zugelassen und sie ist umstritten, aber durch die Gabe von Medikamenten kann man systematisch das Immunsystem schwächen und damit die Schwangerschaft erhalten. Das war etwas, was mir dann von diesem Arzt empfohlen wurde. Und ich habe wieder Hoffnung geschöpft, weil ich dachte, das ist auf jeden Fall ein Versuch wert, das zu probieren.

Parallel dazu hatten wir auch einen Termin in einer entfernten Stadt in einer Kinderwunschklinik, genauer ein humangenetisches Zentrum, das sich auf Kinderwunsch spezialisiert hatte. Auf die Empfehlung meiner Frauenärztin haben wir uns dort einen Termin gemacht und sind da tatsächlich hingefahren.

Das war eine höchst seltsame Begegnung. Wir kamen dort an, teuerste und beste Wohnlage, über den Dächern der Stadt. Nach einer Viertelstunde Wartezeit, in der wir auch noch Getränke angeboten bekommen haben, kam uns dann eine Frau im schicken Designerkleid entgegen und sagte, sie würde uns jetzt beraten. Diese Beratung sah so aus, dass sie uns im Prinzip eine Pränataldiagnostik kombiniert mit Invitrobehandlung empfohlen hat, und zwar in dem Sinne, dass mir Eizellen entnommen werden, die im Reagenzglas befruchtet werden. Diese lässt man dann ausreifen, dann untersucht man sie und die „Beste“ davon wird wieder einsetzt. Dieses ganze Verfahren, diese aufwändige Kinderwunschbehandlung, kostet einen höheren vierstelligen Betrag. Das haben die aber an dieser Stelle gar nicht dazugesagt.

Und wir haben dann auch nachgefragt, weil eigentlich ist es ja so ein ethischer Grenzfall, denn man darf keine Eizellen heranziehen, um diese dann wieder zu vernichten. Und genau so was passiert aber in diesem Prozess. Der Facharzt, bei dem ich zuvor war, hatte sehr klar gesagt, dass es ethisch in meinem Fall überhaupt nicht zulässig ist, das zu machen, weil ich ja schwanger werden kann und das Problem bei mir an anderer Stelle liegt. Diese Frau, die uns da beraten hat, hat uns zu verstehen gegeben, dass ihre Firma viel Erfahrung im Stellen von Anträgen vor der Ethikkommission hätte und das auch in meinem Fall problemlos klappen würde.

Wir fanden das relativ krass, so mit ethischen Einwänden und Überlegungen umzugehen und hatten im Verlauf dieses Gesprächs auch immer mehr das Gefühl, dass man uns hier ein Produkt für teuer Geld verkaufen will, und nicht, dass es eine ergebnisoffene Beratung ist. Wir sind da rausgegangen und waren uns – und darüber war ich sehr froh – sehr einig, dass dieser Weg oder besser dieser Geschäftszweig nichts für uns ist.

Wir haben stattdessen angefangen, uns auch mit dem Thema Adoption zu beschäftigen.

Wir haben dann ein bisschen was zum Thema Adoption gelesen. Leider hatte ich das Gefühl, dass vor allem ich die treibende Kraft war und mein Partner sich nicht so richtig vorstellen konnte, tatsächlich ein Kind zu adoptieren, weil er – und das hat er schon auch so gesagt – die Phase der Schwangerschaft bräuchte, um sich mental darauf einzustellen. Dieses von heute auf morgen plötzlich verantwortlich zu sein für so ein kleines Wesen und alles umzuschmeißen, was bei einer Adoption nötig ist, war für ihn eine sehr schwierige Vorstellung. Wir haben dann trotzdem so ein Beratungsgespräch hier in der Stadt, wo wir wohnen, geführt, bei der Zuständigen vom Jugendamt, die sehr nett und kompetent war. Zugleich hat sie uns auch auf die vielen Enttäuschungen mit Adoptionen vorbereitet und mit Kindern, die dann vielleicht ganz anders sind, als wir uns das vorstellen. Weil sie eben eine sehr prägende Vorgeschichte haben und es ganz häufig im späteren Verlauf des Lebens zu vielerlei Problemen kommt. Was uns vorher auch nicht klar war ist, dass es hier sozusagen eine Altersgrenze gibt, wenn auch eine weiche. Die Eltern sollen nämlich nicht älter als 40 Jahre älter als das Kind sein. Das heißt, auch da waren wir schon an der Grenze und unsere Chancen wären altersbedingt nicht so richtig gut gewesen. Auch das war etwas, was mir überhaupt nicht klar war und was ich auch nicht ganz nachvollziehen kann. Wir haben dadurch ein bisschen den Mut verloren, mein Partner war von der Idee ohnehin nicht überzeugt. Wir haben letztlich die Adoptionsunterlagen nie ausgefüllt und das Thema dann erst mal wieder ad acta gelegt.

Stattdessen hatten wir Hoffnung aus dieser einen Untersuchung geschöpft, die ja ergeben hatte, dass ich diese erhöhte Konzentration von Killerzellen in der Gebärmutter hätte, wo man medikamentös gegensteuern könne. Genau diese Medikamente habe ich dann angefangen zu nehmen, obwohl es natürlich während der Hochzeit von Corona auch nicht ganz ohne war, mutwillig das eigene Immunsystem zu schwächen. Trotzdem war ich ja nun immerhin schon zweimal gegen Corona geimpft. Und keine vier Wochen später war ich tatsächlich erneut schwanger und habe dann eifrig diese Medikamente genommen. Ich musste noch ein großes Projekt fertigstellen und das habe ich tatsächlich in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten auch durchgezogen und habe die Tatsache, dass ich schwanger war, ein bisschen verdrängt bzw. mich nicht so sehr damit beschäftigt. Einfach als Schutzmechanismus, um nicht wieder so enttäuscht zu sein. Denn es war für mich im Kopf klar, auch wenn wir es nicht ganz explizit ausgesprochen hatten, dass es der wahrscheinlich letzte Versuch war. Einfach weil ich auch immer älter wurde. Aber es ist gut gegangen. Es sieht tatsächlich so aus, dass diese medikamentöse Behandlung während der ersten fünf Schwangerschaftsmonate dazu geführt hat, dass in mir ein gesundes Kind heranreift. Ich bin jetzt in der 38. Schwangerschaftswoche. Bisher gibt es keinerlei Anzeichen, dass irgendwas nicht stimmt. Jetzt freuen wir uns auf das Kind, auch wenn es dahin ein sehr langer und ganz schön emotional beschwerlicher Weg war.

Welche Unterstützung wünschst Du dir, wobei und von wem?

Ich habe gemerkt, dass ich in dieser ganzen Phase der Schwangerschaftsabgänge und Fehlgeburten echt wenig Austausch hatte. Ich hatte nur ganz wenige Leute, denen ich die Geschichte in ihrer ganzen Breite und Tiefe erzählen wollte. Ich habe auch gemerkt, dass mehrere Leute in meinem Umfeld das eigentlich gar nicht so hören wollten, sondern lieber da so ein bisschen auf Distanz zu mir gingen. Weil das Ganze sehr belastend war, habe ich mich dann schon auch gefragt, ob ich es anderen überhaupt zumuten darf. Oder muss ich das nicht eigentlich eher einer Therapeutin erzählen? Das hat mich dann immer wieder zweifeln lassen… Ich wünschte mir einen deutlich offeneren gesellschaftlichen Umgang mit diesen Themen von unerfüllten Kinderwünschen, von Abgängen, von Fehlgeburten. Das ist viel zu sehr tabuisiert und diejenigen, die es erleben, sind dann damit total alleingelassen. Das war jetzt in meinem Fall verschärft durch die Pandemie-Situation. Das ist aber auch, glaube ich, ein generelles Problem. Auch was Beratungsangebote anbelangt, war ich relativ überrascht, wie wenig es gibt, wie wenig auch explizit feministische Beratung. Unterstützungsangebote für meine Lebenssituation gab es hier vor Ort schon gar nicht, aber auch anderswo gibt es wenig. Einmal habe ich mich mit einer Frau von einer feministischen Initiative unterhalten. Das hat auch sehr gut getan. Aber insgesamt gibt es kaum Beratungsangebote jenseits des kapitalistischen Geschäftszweigs Kinderwunschberatung.

Zum anderen habe ich gemerkt, dass es mir ganz, ganz schwerfällt, wenn Leute, die mich nicht gut kennen, sondern eher so oberflächliche Bekanntschaften, dann schwärmen von ihren Kindern und wer wieder schwanger ist und wie toll das ist. – Und wenn diese Leute so überhaupt nicht auf dem Schirm haben, dass es vielleicht Menschen gibt, die im Moment in ganz anderen Lebenssituationen stecken und das vielleicht nicht so geil ist, das so offen vor sich her zu tragen und mir schon fast einen Vorwurf daraus zu machen, dass ich immer noch keine Kinder habe. Also ich finde, da müsste sich gesellschaftlich eine ganze Menge wandeln, um im Umgang mit diesen Themen. Es braucht eine Enttabuisierung von Abgängen und Fehlgeburten. Ich meine damit nicht, dass man allen, die schwanger werden wollen, sozusagen erst mal von Worst-Case Szenarien erzählen sollte. Die einzige Hilfestellung kam durch die Hebamme, die bei meiner Frauenärztin in der Praxis ist und die Abgänge begleitet hat. Das war hilfreich, aber nicht ausreichend. Ich wünsche mir einen offenen Umgang mit Enttäuschungen und unerfüllten Erwartungen. Und worüber ich auch schockiert war, wie wenig Forschung es eigentlich zum Thema Abgänge und Fehlgeburten gibt. Es sind so viele medizinische Bereiche so präzise erforscht, aber es gibt ganz wenig Studien, die sich systematisch damit befassen, warum Abgänge eigentlich passieren. Das wird eher so schulterzuckend einfach hingenommen. Das war auch so etwas, das mir vorher alles überhaupt nicht klar war. Insofern, auf Ebene der Forschung, auf Ebene des gesellschaftlichen Umgangs, auf Ebene des Alltags, aber auch auf der Ebene von Beratungsangeboten wäre noch einiges zu leisten, um Menschen wie mich, die in solche Situationen geraten, deutlich besser zu unterstützen, so dass sie einfach damit anders, selbstbewusster umgehen können und weniger leiden.

Zeichnungen mit verschiedenen Darstellungen von Elternschaft