Leonie

Alter
29
Gender
Weiblich
Kinderwunsch
ja

Tickt Deine biologische Uhr bzw. was löst diese Metapher bei dir aus?

Ich würde sagen, noch nicht sehr akut. Ich bin jetzt 29. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, wann die Menschen Kinder bekommen, entspannen mich. Ich habe das Gefühl, dass ich noch Zeit habe. Vor 25 Jahren wäre das hier in Ostdeutschland noch seltsam gewesen, kein Kind zu haben mit 29. Damals gab es noch andere gesellschaftliche Bilder von Frauen.
Ich merke aber schon, dass ich einfach nicht mehr ganz so körperlich fit bin, wie ich das vor fünf Jahren war. Und ich glaube, so eine Geburt ist etwas körperlich Anstrengendes. Ich merke auch, wie ich mit zunehmendem Alter nicht unbedingt entspannter werde mit manchen Themen. Die Vorstellung, ein Kind mit so einem bestimmten jugendlichen Selbstverständnis aufzuziehen, hätte ich auch nett gefunden, aber dafür ist es auf jeden Fall zu spät. Als Teenager habe ich viel auf meinen kleinen Bruder aufgepasst und war auch Babysitterin und habe mir da einfach wenig Sorgen gemacht, dass irgendwas passiert. Und wenn ich jetzt auf Kinder von meinen Freund*innen aufpasse, habe ich viel mehr Unsicherheiten, was gerade okay ist und was nicht, und ob sie sich bei bestimmten Aktionen verletzten könnten. Als Jugendliche und jüngere Erwachsene war ich unbeschwerter. Innerhalb des nächsten Jahres möchte ich mir die Frage noch mal konkreter stellen, ob ich gerade Kinder möchte oder nicht.

Welches Bild kommt dir in den Sinn, wenn Du an eigene Kinder denkst? Und welche Aspekte blendest du eher aus?

Mir kommt sehr viel Wärme und Sonne in den Sinn und so eine selbstverständliche Nähe. Außerdem eine einzigartige Verbundenheit, weil so eine körperliche Verbundenheit wie durch die Schwangerschaft, kann man mit keinem anderen Menschen teilen. Und das ist ja schon wild. Keine Ahnung, wie sich das anfühlt. Ich stelle es mir auf jeden Fall besonders vor.
Ansonsten kommt mir noch das Thema Verantwortung in den Sinn, wenn ich an ein eigenes Baby denke. Also ich mag Verantwortung gerne, aber ich finde es auch jetzt manchmal anstrengend, für was ich mich alles verantwortlich fühle. Das wird sicherlich auch mit Kindern, wenn ich Kinder haben sollte, anstrengend aus einem bestimmten Gluckenmodus rauszukommen. Andererseits mag ich die Vorstellung auch, eine konkrete Verantwortung für eine konkrete Person zu haben und mich auf die zu fokussieren, statt 1.000 unterschiedliche Dinge gleichzeitig im Kopf zu haben. Da ein Baby krass abhängig ist, wäre es ja gesellschaftlich total anerkannt, wenn ich mich dann erstmal primär auf das Baby fokussiere. Das stelle ich mir schön vor, mich so fokussieren zu dürfen.
Und noch ein Thema kommt mir in den Sinn: Die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und Grenzen setzen. Von vielen Freundinnen mit Kind höre ich, dass sie sich quasi vorher immer dachten, dass sie bestimmte Sachen super gut hinbekommen würden mit Kind und es dann zum Teil sehr schwer ist. Also gerade so in Bezug auf das Thema eigene Grenzen ziehen. Ich höre von vielen Frauen, dass ihnen das deutlich schwerer fällt, als sie erwartet haben. Mein Selbstbild aktuell wäre auch, dass ich das gut kann. Mal sehen, wie es dann wirklich wäre.

Wie haben sich Freundschaften verändert, seit Du bzw. enge Freund*innen Kinder haben?

Ich würde sagen, alle Freundschaften haben sich auf jeden Fall verändert. Mir fallen zwei konkrete Freundschaften ein, von denen ich erzählen möchte.
Zum einen eine Person, mit der ich in der Zeit, als sie noch keine Kinder hatte, ein sehr, sehr enges Verhältnis hatte. Wir haben sehr viel Alltag geteilt. Seit sie Verantwortung für ein Kind hat und der Eltern-Kind-Alltag sehr präsent ist, hat sich unsere Freundschaft sehr verändert. Wir haben einfach sehr, sehr viel weniger Kontakt, vor allem so in der Quantität, aber teilweise auch in der Qualität: Was wünsche ich mir an persönlichem Austausch in der Freizeit oder wie viel Kapazitäten hat die Person gerade für mich? Unsere Beziehung hat sich so entwickelt, dass ich mir mehr Raum für mich in der Freundschaft gewünscht hätte; aber natürlich sehe ich auch, dass es mit Verantwortung für Kinder einfach schwerer ist, überhaupt den Kopf dafür zu haben oder die Kapazitäten. Das ist auch ein bisschen die Entwicklung, die ich in der Regel bei Leuten erwarte, die ein Kind bekommen, dass ihre emotionale Kapazitäten geringer sind, weil es da so eine große Verantwortung für den neuen Menschen im Leben gibt.
Aber es gibt auch so Situationen wie zum Beispiel mit einer Schulfreundin von mir, mit der ich über Jahre kaum Kontakt hatte. Sie hat früh viel gearbeitet und hatte nicht so viel Zeit wie ich während des Studiums. Als sie schwanger wurde und ins Beschäftigungsverbot kam, hatte sie plötzlich Zeit und hat sich auf einmal bei mir gemeldet. Seitdem haben wir wieder mehr Kontakt, wir telefonieren ab und zu und treffen und ein oder zwei Mal im Jahr. Bei ihr haben Schwangerschaft und Elternzeit glaube ich den Wunsch nach freundschaftlichem Austausch bestärkt. Ich glaube, es kommt sehr darauf an, welchen Alltag eine Person vor dem Kind hatte, wie dann das Leben mit Kind erlebt wird und ob die Kapazitäten da mehr oder weniger werden.

Welche Rahmenbedingungen brauchst du zur Umsetzung deines Kinder­wunsches?

Ich bräuchte schon ein Gefühl von einer bestimmten materiellen Sicherheit. Und ich bräuchte auf jeden Fall Sicherheit in den sozialen Beziehungen, mit denen ich dieses Kind großziehen würde. Ich stelle es mir schon entspannt vor, das in einer romantischen Beziehung zu machen. Aber mein Wunsch wäre, dass das Kind dann trotzdem nicht nur zwei primäre Bezugspersonen hätte. Ich weiß aber nicht genau, wie realistisch das ist. Aber das wäre ein großer Wunsch von mir.
Es bräuchte mit den anderen Bezugspersonen einfach sehr gute Absprachen und ein Vertrauensgefühl, dass egal wie unsere Beziehung verläuft, wir es hinkriegen, in Bezug auf die Beziehung zum Kind arbeitsfähig zu bleiben. Das wäre das Vertrauen, was ich in die Leute bräuchte, mit denen ich das Kind groß ziehen will.
Ich könnt es mir gut vorstellen, ein Kind mit der Person zu bekommen, mit der ich zusammen bin. Wir kennen uns seit wir jugendlich waren und ich habe ein sehr hohes Vertrauen zu ihm. Und ich glaube, dass er gut mit Kindern ist. Es ist aber so, dass die Person auf gar keinen Fall Kinder will und das auch schon immer. Das macht es natürlich nicht einfach, aber es ist seine Entscheidung. Deswegen mal schauen, was sich da in den nächsten Jahren entwickelt. Aber bisher halte ich das für sehr unrealistisch, dass ich in dieser Beziehung ein Kind großziehen werde.
Kinderkriegen in anderen Konstellation stelle ich mir kompliziert vor, aber nicht undenkbar. Es gibt ein, zwei befreundete Personen, mit denen ich das nicht ausschließen würde, dass es die Möglichkeit gäbe, dass wir zusammen ein Kind großziehen. Sollte ich irgendwann sagen: Ich will das jetzt unbedingt, wären das die Leute, an die ich mich dann wenden würde und ins Gespräch gehen würde, um das konkreter zu machen.
Es muss auch nicht unbedingt ein leibliches Kind sein, für das ich in der Zukunft Verantwortung übernehme. Wobei Schwangerschaft und Geburt schon Erfahrungen sind, die ich gerne mitnehmen würde. Weil ich mir das sehr, sehr besonders vorstelle. Ich denke auch, dass diese Erfahrung verbindet mit Menschen, die diese ebenfalls gemacht haben. Aber ich bin unsicher, ob ich diesem Wunsch nachgehen soll, weil ich auch eine Erziehungsaufgabe für ein leibliches Kind einer anderen Person übernehmen könnte.
Ich habe viele familiäre Netzwerke, die sich alle sehr über Kinder freuen würden und wo ich auch mit einer bestimmten Unterstützung, die ich mir als nicht übergriffig vorstelle, rechnen kann. Das würde mir viel Sicherheit geben.

Was macht das mit deiner Beziehung, falls es konträre Einstellungen zu Kindern gibt?

Bisher haben unsere unterschiedlichen Wünsche in Bezug auf Kinder nicht viel mit unserer Beziehung gemacht, da mein Kinderwunsch noch nicht konkret geworden ist.
Als ich mit 19 von zu Hause ausgezogen bin, war für mich klar, dass ich auf jeden Fall mal Kinder haben will. Ich war damals schon mit der gleichen Person zusammen wie heute und schon damals war klar, dass die Person keine Kinder möchte. Und dieser Zustand hat sich auch nicht verändert. Ich würde sagen, diese Beziehung hat auf jeden Fall eine Priorität vor meinem Kinderwunsch. Da bin ich mir ziemlich klar drüber, wenn ich jetzt grade so drüber nachdenke. Und gleichzeitig würde ich sagen, dass sich das nicht komplett ausschließt, dass ich meinen Kinderwunsch vielleicht erfüllen werde. Es ist für mich denkbar, in dieser Beziehung zu sein und mit anderen Menschen ein Kind aufzuziehen. Ja, es ist schon eine wilde Vorstellung und eine sehr explizite Entscheidung, sich bestimmten gesellschaftlichen Normen zu widersetzen. Und es gibt einfach wenige Vorbilder. Wenn ich jetzt ein Kind hätte und das mit anderen Menschen großziehen würde als und mit der Person, mit der ich in der Beziehung bin, würde das ja schon einen riesen Einschnitt mit sich bringen in der Zeit, die wir zu zweit hätten. Und das müsste dann ja die Person trotzdem auch mittragen. Das müssten wir noch besprechen, ob wir beide uns das vorstellen können.

Wie wirkt sich deine spezifische Lebenssituation in Bezug auf "Kinder oder keine" auf deine Sexualität aus?

Da ich aktuell (noch) kein Kind bekomme möchte, ist Verhütung auf jeden Fall ein Thema in der Sexualität, die ich mit einem Mann habe. Verhütung ist sein Job. Ich habe früher immer Hormone genommen, aber wollte das irgendwann nicht mehr. Und jetzt verhüten wir mit Kondomen. Und das läuft für mich sehr entspannt. Dadurch, dass er auf gar keinen Fall ein Kind bekommen möchte, ist das Thema seine Verantwortung.
Falls mein Kinderwunsch akut wird, kann ich mir schon vorstellen, dass ich den Zyklus mehr im Blick hätte bei der Sexualität als momentan. Ich wünsche mir aber sehr, dass dieser Wunsch dann nicht zu einem Druck wird und Sexualität primär als Mittel zum Zweck wird. Das wäre sehr schade. Wenn der Druck nicht zu groß ist, stelle ich mir den Wunsch nach einem Kind auch irgendwie nach einem schönen Grund für Sexualität vor.

Was ist für Dich feministische Mutterschaft? Geht das überhaupt? Wie geht Vaterschaft ohne in patriarchale Muster zu verfallen?

Ja, ich finde Feminismus und Mutterschaft gehen gut zusammen. Was bedeutet das für mich? Ich glaube, das fängt für mich mit dem Versuch an, einen ehrlichen Austausch mit Freundinnen zu führen, die Schwangerschaften und Geburten erfahren haben. Also, ein ehrlicher Austausch, der auch unangenehme und herausfordernde Aspekte benennt und die normativen Bilder dadurch aufbricht. Ich habe bisher ein paar sehr ausführliche Geburtsberichte von Freundinnen bekommen und das schätze ich sehr. Meine Freundinnen haben Geburten ganz unterschiedlich erlebt und gestaltet. Ich glaube, da fängt feministische Mutterschaft schon an. Sich verbinden, austauschen über diese Erfahrungen und die gesellschaftlichen Erwartungen, die an Frausein und Muttersein gekoppelt sind und sich darüber gegenseitig zu stärken.
Ein anderes Thema, dass ich mit feministischer Mutterschaft verbinde, ist das bewusste Gestalten von Beziehungen. Feminismus hat mich generell geprägt von der Frage, wie ich Beziehungen führen möchte. Ich hätte nicht den Anspruch an mich, Mutterschaft komplett zu dekonstruieren, das fände ich schmerzhaft. Ich hätte auch nicht den Anspruch in der Erziehung auf politischer Ebene alles richtig zu machen. Aber feministische Mutterschaft verbinde ich damit, mir sagen zu dürfen: Es ist okay, als Mutter Grenzen zu setzen und eigene Bedürfnisse zu haben. Das klingt irgendwie ziemlich basic, aber nach dem, was ich von Freundinnen mit Kindern erfahre, ist es das am Ende doch nicht.
Eine möglichst gerechte Verteilung von Sorgearbeit gehört für mich ebenfalls dazu. Das muss nicht bedeuten, dass alle genau das Gleiche machen, sondern kann auch bedeuten, dass die Sorgearbeit danach aufgeteilt, was wer kann und gerne macht.
Schwierig für feministische Elternschaft finde ich es, dass immer noch mehr Mütter länger in Elternzeit gehen als Väter. Dass die Väter weiterarbeiten und ihre Hobbies aufrechterhalten, während die Mütter das aufgeben. Deshalb bedeutet feministische Elternschaft für mich auch, zu einem ähnlichen Teil in Elternzeit zu gehen. Und generell zu schauen, dass sich alle ähnlich viel Zeit für das Kind nehmen. Und sich dann eben wirklich um das Kind kümmern, emotionale Verantwortung übernehmen und nicht nur die schönen Sachen zusammen machen.
Wenn das alles umgesetzt ist, dann ist das Ergebnis für mich feministische Elternschaft, obwohl das ja eigentlich sehr low level ist. Als ich klein war, war mein Papa mehr zuhause als meine Mama, also eigentlich ist das alles nix Neues, aber dennoch bis heute keine Selbstverständlichkeit.

Zeichnungen mit verschiedenen Darstellungen von Elternschaft